Who cares for the Carers? Von Self Care zu Group Care.

Aktivist*innen setzen sich im Kampf gegen die Verbrennung fossiler Energien, gegen Grenzregime oder im Gesundheitswesen dafür ein, zerstörerische gesellschaftliche Dynamiken zu transformieren – sie könnten also als die politischen Care Worker unserer Gesellschaft beschrieben werden. Doch: Wer kümmert sich um die, die sich kümmern? Wie können Gruppen aktivistische Burn Outs verhindern und so aktiv sein, dass sich Menschen für lange Zeit politisch organisieren und einsetzen wollen?

Im Interview erzählen Dorothee Häußermann und Wilm Görlich, zwei erfahrene Aktivist*innen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung, von anstrengenden Seiten des Aktivismus, warum sie aktiv bleiben und wie eine Kultur der Group Care in aktivistischen Gruppen aussehen kann.

Interview: Inken Behrmann und Valentin Ihßen vom Was Tun? Podcast.


Was Tun: Liebe Dorothee, lieber Wilm, ihr seid schon seit vielen Jahren in der Klimagerechtigkeisbewegung aktiv. In welchem Moment habt ihr euch die Frage gestellt, wie ein Aktivismus aussehen müsste, der es euch ermöglicht, nicht nur für ein paar Jahre, sondern langfristig dabei zu bleiben?

Dorothee: Das ist tatsächlich gerade ein großes Thema für mich. Im Januar 2010, also vor elf Jahren, hatte ich mein erstes KlimaCamp-Vorbereitungstreffen im rheinischen Braunkohlerevier. Und seit elf Jahren schreibe ich Texte: „Leute, kommt alle ins rheinischen Braunkohlerevier, um Bagger zu stoppen, um die Klimakrise aufzuhalten, es ist ganz dringend – kommt alle!“  Ich bin immer noch Rund um Garzweiler im Rheinischen Braunkohlerevier aktiv und es wird auch in diesem Jahr so bleiben. Trotzdem merke ich, dass ich Sachen verändern muss, weil mir es mir mit der Zeit schwerer fällt, immer das Gleiche zu sagen und zu schreiben und das mit der gleichen Begeisterung und Eindringlichkeit rüberzubringen.

Wilm: Ich setze mich mit dem Thema „nachhaltiger Aktivismus“ auseinander, seit ich in der Klimagerechtigkeitsbewegung bin. 2018, nach drei Jahren Ende Gelände, habe ich mich zurückgezogen und eine Pause gemacht. Ich habe gemerkt: So wie bisher, kann ich nicht immer weitermachen. Ich konnte an Plena nicht mehr gut teilnehmen, ich konnte einfach die Konzentration nicht mehr halten, konnte E-Mails nicht mehr lesen.  Ich hatte aber das große Glück, dass ich mit meiner Politgruppe ausgeCO2hlt eine Gruppe habe, wo ich trotzdem sein konnte, wo ich auf den Treffen Kinderbetreuung und andere Care-Arbeit übernahm. Dadurch bin ich nicht ganz rausgefallen.

Was Tun: Wilm, Du erzählst von großer Erschöpfung. Was ist für euch denn besonders anstrengend in der Bewegungsarbeit?

Dorothee: Anstrengend finde ich auf einer praktischen Ebene die hohe Fluktuation in der Bewegung. Und dann dieses ständige Gefühl, gegen riesige Probleme zu kämpfen und dabei immer in einer Kampfhaltung zu sein. Ich mache in letzter Zeit viel Hintergrundarbeit, aber ich würde sagen, dass ich trotzdem irgendwie immer in einem Kampfmodus bin – mit dem Gefühl, ständig gegen was anzupöbeln oder zu skandalisieren und sprachlich in die höchsten Register zu gehen. Und dann auch schnell zum Einsatz bereit zu sein, wenn RWE wieder anfängt Bäume zu roden, oder Dörfer abzureißen. Und parallel gibt es das Problem mit der Dringlichkeit: Wir haben halt eine naturwissenschaftliche Grundlage, die verdammt drängende Klimakrise, und wir müssen das kommunizieren. Gleichzeitig können wir auch nicht weiter steigern, was wir seit Jahren sagen. Welche Register sollen wir sprachlich noch ziehen? Und vor allem: Was macht das mit den Menschen und mit mit der Art, wie sie arbeiten? Gerade bei den Fridays for Future habe ich mitbekommen, dass sich die Leute mit dieser Countdown-Geschichte wahnsinnig aufreiben. Wir haben nur noch so-und-so viel Zeit und dann kommt der Weltuntergang. Und dann arbeiten alle  Tag und Nacht. Das können Menschen nicht lange durchhalten.

Eigentlich mag ich das gar nicht, diesen ständigen Kampf. Und es geht sicher nicht nur mir so – genau das ist das Problem und deshalb ist es wichtig, dass wir uns mit dem Thema „nachhaltiger Aktivismus“ beschäftigen.

Was Tun: Wie könnte denn eine langfristige Perspektive aussehen?

Dorothee: Die Gerechtigkeit – für Gerechtigkeit wird es nie zu spät sein. Wir werden immer die Aufgabe haben, die Gesellschaft in der wir leben, gerechter zu gestalten, als sie es jetzt ist. Und auch für ein anderes Wirtschaftssystem zu kämpfen, wird ein Dauerbrenner für uns bleiben. Deshalb denke ich, dass es wichtig ist, uns als Gerechtigkeitsbewegung zu begreifen und nicht nur als eine Bewegung, die für Klimaneutralität kämpft.

Was tun:  Wie setzt ihr nachhaltigen Aktivismus praktisch um?

Dorothee: Wir machen mit unserer Politgruppe ausgeCO2hlt z.B. einmal im Jahr ein Rückzugswochenende, wo wir tatsächlich nur über uns sprechen: über uns als Gruppe und wie wir als Gruppe funktionieren. Wir machen es uns dann an einem schönen Ort gemütlich, verbringen viel Freizeit miteinander und lernen uns besser kennen. Das hat in die ganze Gruppe eine Kultur rein getragen, in der wir auch als Personen wichtig sind. Bei unseren anderen Treffen und auch bei Telefonkonferenzen machen  wir ebenfalls Runden, in denen wir kurz sagen, wie es uns geht. Wir haben auch freundschaftliche Beziehungen und treffen uns außerhalb von Polittreffen. Das ist total wichtig. Manchmal nach großen Plena übers Wochenende, wo das nicht so ist, komme ich zurück und fühle mich ganz ausgehöhlt, weil ich nur mit meiner Politikfassade im Plenum saß oder nur als to do-übernehmendes Wesen wahrgenommen wurde.  Ich will mit den Menschen auch eine echte Beziehung haben und will als ganze Person da sein. Und das schaffen wir mit ausgeCO2hlt ziemlich gut. Und dann haben wir eine Kultur, dass Auszeiten in Ordnung sind und respektiert werden. Aus anderen Gruppen habe ich schon mal gehört, dass Leute „Nein“ sagen und dann trotzdem gedrängt werden, Aufgaben zu übernehmen.  Oder einfach keine Pausen gemacht werden. Wir lieben unsere Pausen.

Was tun: Dorothee, Du hast ja gerade erzählt, wie wichtig es erstens ist, Pausen zu machen und zweitens, dass Du bei augeCO2hlt organisiert bist. Das sind also zwei Wege dazu, lange aktiv zu sein: Langfristige Beziehungen zu pflegen, in denen es nicht nur darum geht, was die Person in der Bewegung leistet. Und Pausen machen zu können, die von der Gruppe respektiert werden. Wilm, wie siehst du das:  Was hilft Dir, solange aktiv zu bleiben?

Wilm: AusgeCO2hlt ist meine Basis und war für mich ein total wichtiger Einstieg in die Bewegung. Ich bin zu einem Zeitpunkt reingekommen, als die „Klimabewegung“ nur ein paar hundert Leute waren, damals musste ich meistens schmunzeln, wenn jemand „Bewegung” gesagt hat.  Mir hat es geholfen mit ein paar Leuten, die sich trauen zu träumen mit so einer Mischung aus Theorie, Auseinandersetzung und Praxis einfach loszulegen. Und dass ich als ganzer Mensch dabei sein konnte. Das ist ganz wesentlich dafür, dass ich noch dabei bin, weil ich – wie ich das vorhin schon erzählt hab – auch zu Treffen kommen konnte, ohne direkt am Plenum teilzunehmen, als es mir nicht so gut ging.

Ich glaube, eine Gefahr im Aktivismus ist, dass wir so stark ein Bild von Aktivist*innen und vom Aktivismus haben, dass wir uns nicht ganz als Personen einbringen und diese ganzen anderen Facetten, die uns aber wichtig sind, vernachlässigen: die Freundschaften, Zeit draußen zu haben, alles das, was uns so erfüllt und was eigentlich die Grundlage dafür ist, überhaupt widerständig zu werden.

Dorothee: Genau! Ich würde gerne noch ganz praktische Details zu diesen Auszeiten einbringen: Es geht nicht darum, dass ich dann zwei Tage vor der Aktion sage „Mir ist alles zu viel“,  sondern, dass wir als Gruppe gelernt haben, zusammen die Projekte, die wir uns vornehmen, realistischer einzuschätzen. Wir sagen auch mal „Okay, das lassen wir mal aus und das machen wir nicht“. Und wenn wir merken, dass wir überlastet sind, kommunizieren wir das früh und machen das transparent – und nicht erst kurz bevor alle zusammenbrechen. Es ist ja nicht der Sinn der Sache, dass dann, wenn die Leute sich rausziehen, die anderen noch mehr Stress haben. Wir machen auch so einen Jahresplan zusammen, welche Projekte wir machen und wer wann Urlaub macht.

Was tun: Also ist Care und „nachhaltiger Aktivismus“ bei euch auch eine Gruppenaufgabe? Eher Group Care als Self Care?

Wilm: Ja. Ich glaube, es gibt unterschiedliche Ebenen, um langfristig widerständig zu bleiben. Woran man natürlich immer als erstes denkt, ist diese individuelle Ebene. Was brauche ich, damit es mir gut geht? Was sind die Sachen, die mir guttun? Und dann ist für mich eben auch die die kollektive Ebene entscheidend. Mir hilft es, bei ausgeCO2hlt zu sein, eine feste Gruppe als Hafen zu haben, in die ich immer wieder zurück kommen kann und wo Beziehungen sind, die auch über über die Kampagnen hinausgehen.

Was Tun: Liebe Dorothee, lieber Wilm, ganz herzlichen Dank für das Interview!


Das Interview ist ein Auszug aus der Podcastfolge zu nachhaltigem Aktivismus. Hier könnt ihr die ganze Folge mit Dorothee und Will nachhören: linktr.ee/wastun

Im Was tun? Podcast sprechen Valentin Ihßen und Inken Behrmann darüber, wie das geht und diskutieren mit Aktivist*innen über linke Politstrategie.

Valentin Ihßen fragt sich, warum in Deutschland so wenig über Polit-Strategie gesprochen wird. Er verdient sein Geld als Campaigner bei Campact e.V. Vorher hat er die Kampagne der Grünen im Europawahlkampf unterstützt. Valentin hat Politische Soziologie in London studiert.

Inken Behrmann weiß, wie aus einer Forderung eine politische Kampagne wird. Sie war 2017 Pressesprecherin der Kampagne Ende Gelände und hat 2019 bei der IAA zivilen Ungehorsam für die Verkehrswende mitorganisiert.

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